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Ab Juni 2025 gilt das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Wir als Barrierefreiheitsagentur schauen uns an, welche Unternehmen davon betroffen sind und was für eure Website Pflicht ist, um dem neuen Gesetz in Bezug auf Barrierefreiheit zu entsprechen. Dazu haben wir sechs Barrierefreiheits-Expert:innen aus ganz Deutschland befragt und lassen diese hier im Artikel zu Wort kommen, um euch bestmöglich auf die neuen Barrierefreiheitsansprüche vorzubereiten.
Vorab: Wir sind keine Anwält:innen und teilen hier Ergebnisse unserer Recherchen und Erfahrungen aus den Projekten der letzten Jahre, ohne Gewähr auf Vollständigkeit, Aktualität oder Rechtsgenauigkeit.
Kurz erklärt: Die wichtigsten Fakten zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ab 2025
- Das BFSG tritt am 28. Juni 2025 in Kraft. Ab dann sollen betroffene Websites sowie Produkte barrierefrei gestaltet werden.
- Das Gesetz betrifft viele Produkte und Dienstleistungen. Hinsichtlich Websites betrifft es besonders Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr, welche einen möglichen Verkaufsabschluss fördern.
- Die Marktüberwachungsbehörden sind für die Überprüfung der Anforderungen der EN 301 549 zuständig. Es können Bußgelder in Höhe von bis zu 100.000 € verhängt werden.
- Es ist nun Einzelverbraucher:innen möglich, eine Klage zu stellen bei mangelnder Barrierefreiheit.
- Eure Website auf das BFSG vorzubereiten, kann je nach Umfang und aktuellem Stand mehrere Monate in Anspruch nehmen, also lieber nicht zu lange trödeln!
Ihr wisst schon, dass ihr vom BFSG betroffen seid und fragt euch, was ihr konkret tun müsst, um eure Website barrierefrei zu gestalten? Springt direkt zu unserer Kurzanleitung.
„Barrierefreiheit kann für Unternehmen, die damit bisher keine Erfahrung gesammelt haben, kompliziert erscheinen. Dafür gibt es Profis. Das BFSG bietet jetzt eine echte Möglichkeit, eure Produkte und Dienstleistungen für mehr Menschen erreichbar zu machen sowie interne Prozesse zu modernisieren und vereinfachen.“
Daniela C. Fernandez (sie/ihr), Designerin bei ACB
Hinter dem langen Wort Barrierefreiheitsstärkungsgesetz steckt das deutsche Gesetz zur Umsetzung einer neuen EU-Richtlinie in Bezug auf Barrierefreiheit im Web. Genauer gesagt, handelt es sich dabei um die EU-Richtlinie 2019/882 oder den European Accessibility Act (EAA).
Dieses Gesetz wird zum 28. Juni 2025 in Kraft treten.
Das Ziel der neuen EU-Richtlinie ist, Barrierefreiheit-Standards innerhalb der EU zu vereinheitlichen. Es soll verhindert werden, dass sich Anforderungen widersprechen und Barrierefreiheit im Web einen großen Schritt weiterbringen. Das BFSG stellt gezielte Anforderungen an Dienstleistungen und Produkte im Web. Im Grunde also eine super Sache, auch wenn es an der ein oder anderen Stelle noch etwas ausbaufähig ist. ;)
„Mit der Digitalisierung wird Barrierefreiheit kostengünstig, skalierbar und – hoffentlich selbstverständlich. Und wenn Barrierefreiheit die Regel wird, dann lohnen sich unzugängliche Webseiten einfach nicht mehr. Eine barrierefreie Website muss nicht mehr kosten als eine unzugängliche.“
Marc Haunschild (er/ihm), Berater für barrierefreie Digitalisierung
Für wen wird Barrierefreiheit 2025 zur Pflicht?
Im Vergleich zur bestehenden EU-Richtlinie für öffentliche Stellen greift das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ab 2025 nun für viele Websites, die Dienstleistungen im Web anbieten. Obwohl wir uns in diesem Artikel hauptsächlich auf Websites beziehen, gibt es auch Produkte wie Computer, Selbstbedienungsterminals und Fernseher, die unter anderem zukünftig barrierefrei gestaltet werden müssen.
Dienstleistungen, die vom BFSG betroffen sind:
- Telekommunikationsdienste
- E-Books
- auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen (inklusive Apps) im überregionalen Personenverkehr
- Bankdienstleistungen
- Personenbeförderungsdienste (für Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdienste nur interaktive Selbstbedienungsterminals)
- Und: Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr – mehr dazu, was das umschließt, im nächsten Absatz.
Was sind Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr?
Zahlreiche Websites sind vom BFSG 2025 betroffen. Das Gesetz sagt, es geht hier um alle „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“. Das beschreibt den „Verkauf oder Erwerb von Waren oder Dienstleistungen über das Internet“.
Im klassischen Sinne betrifft das also alle Websites mit Webshop. Zusätzlich auch Websites, die generell ihre Dienstleistungen im Web anbieten und bei denen es zu einem Abschluss eines Verbrauchervertrages kommt.
- Auslieferung / Erbringung kann offline oder online erfolgen
- Vertragsschluss und Buchung / Kauf müssen online erfolgen
- Ausnahme: Online erfolgt eine Anfrage, die manuell separat von den Anbietenden für einen Vertragsschluss angenommen werden muss.
Das wirft einige Fragen auf: „Was wird als Verkauf und was als Anfrage definiert?“ Reicht zum Beispiel ein Kontaktformular auf eurer Website aus, um unter die Pflicht des BFSG zu fallen oder muss es ein automatisiertes Buchungstool sein?
Das scheint noch eine sehr unklare Auslegungssache des Gesetzes zu sein. Denn bislang gibt es natürlich noch keine Gerichtsurteile, die Klarheit in der Anwendung zeigen können. Viele der für diesen Artikel befragten Expert:innen finden gerade deswegen, dass das Gesetz noch etwas Ausarbeitung benötigt und wünschen sich klarere Richtlinien.
Es gibt grob zwei Interpretationen des Geltungsbereichs des BFSG.
Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr:
2 Auslegungen
Auslegung 1: Elektronischer Geschäftsverkehr als Überbegriff für Online-Handel
Der „elektronische Geschäftsverkehr“ kann als Überbegriff für Online-Handel verstanden werden, der jegliche geschäftliche Transaktionen oder Interaktionsmöglichkeiten mit den Dienstleistenden auf einer Website betrifft.
- Wann greift das BFSG in diesem Fall? Sobald ein Element der Website auf einen möglichen Vertragsabschluss vorbereitet – auch wenn dieser außerhalb der Website stattfindet.
Beispiele: Alle Funktionalitäten wie Terminbuchungstools, Kontaktformulare, Online-Bezahlsysteme, die eventuelle Kund:innen in einem Verkaufsprozess unterstützen. Was zählt? Die Absicht, Möglichkeit oder Vorbereitung in der Zukunft, einen Vertragsschluss zu erreichen. - Was zählt? Die Absicht, Möglichkeit oder Vorbereitung in der Zukunft, einen Vertragsschluss zu erreichen.
Auslegung 2: Elektronischer Geschäftsverkehr als automatisierter Prozess
Der Begriff „elektronischer Geschäftsverkehr“ kann auch so aufgefasst werden, dass nur der tatsächliche (automatisierte) Vertragsabschluss gemeint ist.
- Wann greift das BFSG in diesem Fall? Sobald Buchungen oder Zahlungen im Hinblick auf vorgestellte Produkte oder Dienstleistungen auf der Website getätigt werden können.
Beispiele: Ein Kontaktformular allein wäre nicht unbedingt Grund, eine automatisch erbrachte Kaufbestätigung allerdings schon. - Was zählt? Ein (abgeschlossener) Vertragsabschluss auf der Website.
Links zum tieferen Einsteigen:
Wer ist vom BFSG ausgenommen?
Grundsätzlich fallen die folgenden Wirtschaftsakteure nicht unter das BFSG:
- Business to Business (B2B):
Laut §2 16 richtet sich das BSFG vor allem an Verbraucher:innen, die Produkte bzw. Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Daher betrifft das Gesetz vor allem das Geschäft mit Kund:innen (B2C) und sieht die Barrierefreiheits-Anforderungen weder derzeit noch zukünftig für B2B-Geschäftsverkehr vor. - Kleinstunternehmen
Laut BFSG sind Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und höchstens 2 Millionen Euro Jahresumsatz ausgenommen. Sie sind also nicht gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten.
Werden allerdings physische Produkte in den Verkehr gebracht, fallen diese unter das BFSG und müssen barrierefrei gestaltet werden.
Kleinstunternehmen sollen ab 2025 kostenlose Beratung durch die Bundesfachstelle Barrierefreiheit in Anspruch nehmen können.
„Ich werde Kleinunternehmen immer raten, auch jetzt schon die Anforderungen des BFSG umzusetzen. Denn wenn ein Unternehmen wächst und irgendwann die Kriterien des BFSG erfüllt, will es ja nicht sofort seine Website umbauen müssen.“
Tina Reis (keine Pronomen), Entwicklung von WordPress-Websites
Einige Barrierefreiheits-Expert:innen wie Maja Benke oder Tina Reis halten es für problematisch, wie viele Ausnahmen das BFSG noch zulässt.
Fakt ist, ihr könnt einen „Sonderfall“ beantragen: Wenn die Umstellung einer Dienstleistung oder eines Produktes auf Barrierefreiheit eine wirtschaftliche oder praktische „unverhältnismäßige Belastung“ für euer Unternehmen darstellen würde, dann könntet ihr von dem BFSG ausgenommen sein. Das müsst ihr gemäß einer speziellen Regelung eigenständig, intern beurteilen und schriftlich dokumentieren. Wenn ihr glaubt, dies könnte auf euch zutreffen, findet ihr im Paragraf 17 des Gesetzes weitere Infos zu den Anforderungen.
Eure Website ist ab 2025 zur Barrierefreiheit verpflichtet?
Macht den Barrierefreiheit-Website-Check.
Unsere Agentur für Barrierefreiheit bietet euch die offizielle Testung, und Erstellung einer Barrierefreiheitserklärung nach den gesetzlichen Richtlinien sowie Beratung rund um den Prozess zur barrierefreien Website.
Was ist vom BFSG ausgenommen?
Folgende Inhalte sind für Websites und Apps vom BFSG ausgenommen:
- manche Inhalte, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden
Das betrifft u. a. Dateiformate wie Videos oder PDF-Dokumente, aber auch Archive im Allgemeinen. - Online-Karten
Hier muss jedoch eine barrierefreie Alternative geboten werden.
Beispiel: Eure Website hat eine Karte, die nicht barrierefrei bedienbar ist. Diese Karte ermöglicht es, Adressen und Ansprechpartner:innen zu finden. Eine barrierefreie Alternative ist hier eine (filterbare) Listenansicht unter der Karte, über die ebenso die Adresse für eine:n Ansprechpartner:in gefunden werden kann. - rein informative Blog-Websites
„Passive“ Websites zur Präsentation von Produkten, Dienstleistungen oder Blogs, die keine Absicht auf den Abschluss eines Vertrags aufzeigen. - Wege der Beschwerde, Abbruch der Transaktion
Was nach dem BFSG barrierefrei gestaltet sein muss, ist der Weg hin zum Abschluss eines möglichen Vertrags. Der Abbruch einer Transaktion sowie ein Weg, um zum Beispiel eine Produktbeschwerde einzureichen, jedoch nicht. - Inhalte von Drittanbietern
Laut § 1 4 des BFSG müssen Inhalte von Dritten nicht barrierefrei bereitgestellt werden. Sogenannte Drittanbieter-Tools sind etwa eine Software, ein Tool oder ein Plugin, das nicht von eurem Unternehmen selbst entwickelt oder eigens zur Entwicklung beauftragt wurde. Der Code unterliegt damit nicht eurer Kontrolle. Damit ihr dem Gesetz entsprecht und eure Website barrierefrei bedienbar ist, empfehlen wir immer, barrierefreie Alternativen zu bieten.
Beispiele: Externe Plugins (Formulare, Cookie-Banner, Captcha etc.), eingebettete Tools für Karten, Terminbuchung, Bezahlvorgänge und vieles mehr.
Kritik am Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
Drittanbieter werden nicht zur Verantwortung gezogen
„In besonderer Verantwortung sehe ich auch Anbietende von Plugins und anderer Drittanbietersoftware, die in Websites eingebettet werden – z. B. Kontaktformulare, Online-Shop-Plattformen und Bezahldienste. Verbesserungen haben hier sofort eine Auswirkung auf tausende Webseiten, die mit dieser Software arbeiten.“
Tina Reis (keine Pronomen), Entwicklung von WordPress-Websites
Inhalte von Drittanbietern werden im Gesetz ausgeklammert. Das ist schade, denn kaum eine Website kommt ohne sie aus. Das beklagen auch unsere zwei IT-Expert:innen Marc Haunschild und Tina Reis.
„Wenn man ein bestimmtes Content-Management für die Pflege eines Webauftritts verwendet, wird man mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eines der drei beliebtesten Formular-Plugins für die Kontakt-Aufnahme verwenden. Wer solche Lösungen anbietet, muss sich endlich der Verantwortung bewusst werden und Komponenten erstellen, die durchgängig barrierefrei sind. Wenn sie das nicht tun, werden sie für viele Einsatzzwecke nicht mehr nutzbar sein und Alternativen gibt es immer.“
Marc Haunschild (er/ihm), Berater für barrierefreie Digitalisierung
Wichtig: Nur weil das Gesetz Inhalte von Dritten ausklammert, heißt das nicht, dass diese Inhalte auf eurer Website nicht barrierefrei sein dürfen. Nein, auch hier gilt: Der Weg zum Vertragsabschluss muss weiterhin barrierefrei zugänglich sein auf eurer Website. Ihr müsst hier dann unter Umständen eigene barrierefreie Alternativen schaffen oder zu einem barrierefreien Tool wechseln.
Gebärdensprache und Leichte Sprache fehlen im BFSG
Das Gesetz hat leider einige wichtige Zielgruppen in den Bestimmungen vergessen: Menschen, die Inhalte in Leichter Sprache oder Gebärdensprache benötigen. Das beklagen vor allem unsere beiden Leichte Sprache-Expertinnen Katrin Nägele und Friederike Grigoleit.
„Das BFSG selbst schreibt die Verwendung von Leichter Sprache nicht verbindlich vor. Es konzentriert sich in erster Linie auf technische Anforderungen zur digitalen Barrierefreiheit, also auf Aspekte wie Bedienbarkeit, Wahrnehmbarkeit und Verständlichkeit von Websites, Apps und digitalen Dienstleistungen.“
Friederike Grigoleit (sie/ihr), Übersetzerin für Leichte Sprache
Kurze Definition: Was ist Leichte Sprache?
Das ist eine stark vereinfachte Sprachform, die dafür da ist, komplexe Inhalte für alle Menschen verständlich zu machen. Beispielsweise für Menschen auf dem kognitiven Spektrum oder mit geringen Deutschkenntnissen. Durch das Vermeiden von langen Sätzen und Fremdwörtern sowie die Einbindung von kleinen Illustrationen wird das Verständnis für wichtige Inhalte erleichtert.
„Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass ein Sprachniveau der Sekundarstufe 1 (7. – 9. Klasse) der Standard wäre. Dann wären die Texte in Alltagssprache gehalten. Auch viele Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten können dieses Sprachniveau gut verstehen. Und wenn die Inhalte dann noch auf mehrere Arten zugänglich wären, wären viel mehr Menschen selbst handlungsfähig.“
Katrin Nägele (sie/ihr), Übersetzerin für Leichte und Einfache Sprache bei Satznachbarin
Mit der Ausgrenzung der Leichten Sprache und der Gebärdensprache in den gesetzlichen Anforderungen tut sich ein großes Vakuum auf: Eine Netzkultur, die tatsächlich für alle leicht bedienbar sein soll, wird so nicht geschaffen. Denn dafür sind Leichte Sprache und Gebärdensprache unabdingbar. Auch bei unseren Expert:innen bleiben hier Wünsche offen.
Mangelnde Berücksichtigung wichtiger Nutzer:innengruppen
Maja Benke und Katrin Nägele beklagen, dass gerade Bereiche wie Arztpraxen, wo es besonders bedeutend wäre, Barrierefreiheit zu gewährleisten, bislang nicht genügend zur Verantwortung gezogen werden. Tina Reis ergänzt, dass das BFSG die Bedürfnisse von neurodivergenten Menschen besser berücksichtigen sollte. Denn auch diese Gruppe wird bisher im Gesetz nicht explizit thematisiert, würde aber von einem Barrierefreiheits-Check oft auch profitieren.
Bis wann müssen Websites dem BFSG entsprechen?
Die wichtigsten Daten auf einen Blick
- Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz tritt offiziell am 28. Juni 2025 in Kraft.
- Neue Produkte und Dienstleistungen, die nach diesem Datum zum Vertrieb erscheinen, müssen nach gesetzlichen Pflichten barrierefrei sein.
- Derzeitige Produkte, die noch auf Barrierefreiheit umgestellt werden müssen, dürfen laut den Übergangsbestimmungen des §38 noch bis zum 27. Juni 2030 unverändert benutzt werden.
- Bei Sonderfällen, wie bei Selbstbestimmungsterminals, kann es sogar zu noch längeren Fristen von bis zu 15 Jahren kommen.
Was heißt es, dem BFSG zu entsprechen?
„Unternehmen müssen jetzt besonders darauf achten, dass ihre digitalen Angebote – also Websites, Apps und Online-Dienste – barrierefrei zugänglich sind. Dazu gehören Anforderungen wie eine einfache Navigation, verständliche und gut strukturierte Inhalte sowie die technische Umsetzung nach geltenden Standards – zum Beispiel WCAG 2.1. Auch Dokumente und Formulare sollten barrierefrei gestaltet sein.“
Friederike Grigoleit (sie/ihr), Übersetzerin für Leichte Sprache
Barrierefreiheit ist im Web keine Neuigkeit, daher gibt es zahlreiche Standards und relevante Richtlinien, auf die verwiesen werden kann. Übergreifend geht es darum, die Zugänglichkeit von Websites für Menschen mit motorischen, visuellen, auditiven und kognitiven Einschränkungen zu erleichtern.
So wird fürs BFSG geprüft
Kurzum macht das BFSG die Einhaltung der Anforderungen der geltenden EN 301 549 und somit auch der WCAG in der Stufe AA zur Pflicht. Aktuell in der Version 2.1, doch wird dies voraussichtlich bald auf die Version 2.2 angepasst. Es ist daher empfehlenswert, einen Test auf Barrierefreiheit nach den Richtlinien der bestehenden BIT-Verordnung sowie der WCAG 2.2, Stufe AA durchzuführen. Das empfiehlt auch das BIK.
Hier geht es um Aspekte aller Ebenen:
- Design: Kontraste, Videos, Animationen etc.
- Inhalte: leicht verständlich, klar strukturiert und übersichtlich
- Code: gut für Screenreader und weitere Tools verarbeitbar etc.
Eine Prüfung nach gesetzlichen Vorgaben ist daher zeitaufwendig und umfassend. Denkt das unbedingt bei eurer Zeitplanung, um für eure Website fürs BFSG ab 2025 bereitzumachen, mit und fangt jetzt damit an.
Wie wird die Erfüllung des BFSG überwacht?
Die Umsetzung des BFSG wird von zwei externen Einrichtungsverfahren überwacht. Eine Überprüfung erfolgt nach §28 des BFSG durch die zuständigen Marktüberwachungsbehörden auf Bundeslandebene mit Unterstützung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) entweder stichprobenartig oder auf Antrag. Das heißt auch auf Beschwerde von Verbraucher:innenseite.
„Um einen barrierefreien Service anzubieten, ist es notwendig, die Barrieren und den Alltag von Menschen mit Behinderungen zu verstehen und sich mit diesen Barrieren auseinanderzusetzen. Zum Beispiel, welche Kontakt-Möglichkeiten angeboten werden und ob diese für alle nutzbar sind.“
Maja Benke (sie/ihr), Barrierefreiheitsprüferin bei ACB
Beschwerden von allen Einzelverbraucher:innen möglich
Bisher konnten solche Beschwerden nur von Menschen mit Behinderung selbst oder den sie vertretenden Organisationen auf Basis des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) eingereicht werden. Mit der kommenden Inkraftsetzung des BFSG wird es nun aber allen Einzelverbraucher:innen und qualifizierten Verbraucherverbänden möglich, sich Gehör zu verschaffen und mangelnde Barrierefreiheit bei ihrer zuständigen Behörde anzuklagen.
Außerdem wird mit dem Inkrafttreten des BFSG das Beschwerdeverfahren durch die Schlichtungsstelle BGG der Bundesfachstelle für Barrierefreiheit (BAMS) ebenfalls allen Einzelverbraucher:innen angeboten. Beide Verfahren sind darauf ausgelegt, niedrigschwellig, barrierefrei und kostenfrei zu sein. Laut unserer Expert:innen ist ein einfacher Zugang zum Meldeverfahren vor allem wichtig, da der Erfolg des BFSG und damit der weitverbreiteten Akzeptanz und Umsetzung der Barrierefreiheit davon abhängt, wie konsequent gegen Verstöße vorgegangen wird.
„Genauso (wie bei der DSGVO) wird es wohl mit dem BFSG laufen: Es gibt einen europaweiten Standard und konkrete Werkzeuge, mit denen Betroffene Barrierefreiheitsverstöße melden können. Das ist wichtig und sollte nicht kleingeredet werden. Die Durchsetzung hängt aus meiner Sicht vor allem davon ab, ob auf Behördenebene Kapazitäten für die Prüfung von gemeldeten Verstößen geschaffen werden.“
Tina Reis (keine Pronomen), Entwicklung von WordPress-Websites
Gegen wen kann geklagt werden?
- Wirtschaftsagierende – sprich alle Unternehmen, die betroffene Produkte oder Dienstleistungen anbieten.
- Träger öffentlicher Gewalt – gemeint sind etwa Bundesministerien und Bundesorgane sowie öffentliche Stellen.
Strafen und rechtliche Schritte bei Anklage
Wie das Klageverfahren abläuft und ob euch die 100.000 € Bußgeld tatsächlich drohen können, hängt davon ab, ob die Klage über die Marktüberwachungsbehörde oder die bundesweite Schlichtungsstelle gestellt wird.
Verfahren über die Marktbehörde
- Ziel: Einhaltung des BFSG durch Prüfung und Behebung von Verstößen (zur Not durch Sanktionen)
- Prüfung: stichprobenartig oder durch direkte Beschwerde
- Maßnahmen:
- bei Feststellung eines Verstoßes, Verordnung einer barrierefreien Nachbesserung
- bei schwierigen oder wiederholten Verstößen ggf. Untersagung des Verkaufs der Dienstleistungen / Produkte
- bei weiterer Nichtumsetzung der Aufforderungen ggf. Veranlassung von Bußgeldern mit bis zu 100.000 €
Verfahren über die Schlichtungsstelle
- Ziel ist eine einvernehmliche Konfliktlösung zwischen den betroffenen Parteien, ohne dass Gerichtsverfahren nötig sind.
- Prüfung: Die Prüfung des Anliegens geschieht nur auf Antrag und nach beidseitiger Einwilligung zur Teilnahme. Wenn dieser Schritt scheitert, kann das Anliegen jedoch noch vor die Behörde gebracht werden.
- Maßnahmen: Als ein nicht rechtsverbindliches Verfahren kann die Schlichtungsstelle nichts verordnen, sondern nur Vorschläge anbieten.
Was muss ich tun, um meine Website für das BFSG fit zu machen?
„Barrierefreiheit betrifft nicht nur die Online-Präsenz, sondern auch die internen Unternehmensstrukturen, wie Kommunikation und Kundenservice. Die gesamte Service-Erfahrung muss barrierefrei gestaltet werden, nicht nur die digitale Oberfläche.“
Daniela C. Fernandez (sie/ihr), Designerin bei ACB
Abgesehen davon, dass ihr damit zu einer inklusiveren Gesellschaft beiträgt, gelingt es euch auch leichter, die Ansprüche der BFSG umzusetzen, wenn ihr Barrierefreiheit als einen grundlegenden Wert in eurer Unternehmenskultur und euren Arbeitsprozessen von Anfang an mitdenkt.
Das heben die Expert:innen Katrin Nägele, Tina Reis und Daniela Fernandez besonders in ihren Ratschlägen hervor. Auch Maja Benke sieht Barrierefreiheit als einen integralen Bestandteil der gesamten Unternehmenskultur:
„Barrierefreiheit ist mehr als nur eine Checkliste. Ich denke, ein wichtiger Schritt wird es sein, Barrierefreiheit als einen elementaren Schritt in die Prozesse zu integrieren, wie es ja auch mit Sicherheit, Datenschutz oder UX bereits der Fall ist.“
Maja Benke (sie/ihr), Barrierefreiheitsprüferin bei ACB
Es sollte daher nicht als Überraschung kommen, dass nach einem offiziellen Test die barrierefreie Nachbesserung eurer Website etwas Zeit in Anspruch nehmen wird. Die Testung dauert je nach Anzahl der zu testenden Seiten zwei bis drei Wochen, darauf folgt die Zeit für die Umsetzung und Behebung der Hürden, die behoben werden müssen, um den gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen. Danach kann dann erst die Erstellung der Barrierefreiheitserklärung angegangen werden. Wir raten euch daher, einige Monate für die Umstellung auf das BFSG einzuplanen und rechtzeitig mit dem Prozess zu starten.
Barrierefreiheitsstärkungsgesetz-Checkliste: Kurz-Anleitung für eure Website
1. Offizieller Barrierefreiheits-Test nach gesetzlichen Richtlinien
- Testung der Website nach den offiziellen Prüfkriterien der BITV 2.0.
- Was wird getestet? Kurzum: Design, Inhalte, Code – also auf allen Ebenen.
2. Maßnahmenplan
- Erstellung eines Plans zur Anpassung der Website an die gesetzlichen Richtlinien – mit dem Ziel, möglichst alle Barrieren zu beseitigen, auf jeden Fall alle sogenannten Blocker.
- Umsetzung dieser Maßnahmen eigenständig oder über uns möglich.
3. Erstellung einer offiziellen Erklärung zur Barrierefreiheit
- Falls nicht direkt alle Barrieren behoben werden können, muss in der Erklärung zur Barrierefreiheit ein Zeitpunkt genannt werden, zu welchem diese behoben werden.
4. Kontinuierliche Überwachung und Verbesserung
- Hier ist die Erstellung einer Strategie zur langfristigen Sicherstellung der Barrierefreiheit in den Bereichen Inhalt, Design und Code empfehlenswert.
Unser Fazit: Barrierefreiheitsstärkungsgesetz macht Barrierefreiheit für Websites endlich zur Priorität
„Es geht voran! – Und das ist das wichtigste an diesem Gesetz: Barrierefreiheit gewinnt zunehmend an Bedeutung und gegen den Widerstand der Wirtschaft werden weniger und weniger Menschen ausgeschlossen.“
Marc Haunschild (er/ihm), Berater für barrierefreie Digitalisierung
Wir als Barrierefreiheitsagentur und die von uns befragten Expert:innen empfinden das BFSG als einen wichtigen und längst überfälligen Meilenstein in einem fortlaufenden Prozess zu einer digitalen Welt, die für alle zugänglich und nutzbar sein soll.
Im Hinblick auf die Überzeugungsarbeit könnte das Gesetz den Barrierefreiheits-Agenturen und -expert:innen künftig Überzeugungsarbeit abnehmen: Indem nun fast alle großen Websites barrierefrei gestaltet werden müssen, ist Barrierefreiheit im Web nicht mehr nur eine Sache von sozialem Engagement oder persönlicher Überzeugung.
Das BFSG macht Barrierefreiheit nun für alle betroffenen Unternehmen zur Prio. Das ist je nach aktuellem Status eurer Website ein Stück Arbeit – vielleicht muss der Code, das Design oder die Inhalte, vereinzelt gar gesamte Dienstleistungsprozesse angepasst werden. Aber dadurch seid ihr nicht nur rechtlich auf der sicheren Seite, das kann auch viele Vorteile mit sich bringen:
- Ihr vergrößert eure Zielgruppe: Eure Websites, Apps, Produkte werden für mehr Menschen nutzbar.
- Niedrigere Bounce-Rate und mehr Website-Besuche: Ihr verbessert die Bedienbarkeit eurer Website und steigert damit ggf. sogar eure Verkäufe.
- Inhalte einfacher verständlich: Eure Inhalte werden klarer strukturiert sein und so besser und für mehr Menschen verständlich gemacht.
- Werdet Vorreiter:innen: Wenn ihr zügig handel, positioniert ihr euch als Vorreiter:innen in eurem Umfeld, indem ihr als eine:r der Ersten, barrierefreie Wege zu euren Dienstleistungen vorweist.
Wichtig ist ein gut durchdachter Plan mit sinnvollen Maßnahmen, und so könnt ihr Schritt für Schritt auf die neuen Barrierefreiheitsanforderungen reagieren.
Schon bereit für das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ab 2025?
Wir als Barrierefreiheit-Agentur prüfen Websites und Apps nach gesetzlichen Vorgaben auf Barrierefreiheit, liefern verständliche Testergebnisse mit Hinweisen zur Optimierung und beraten zur Umsetzung auf eurer Website – die Erklärung zur Barrierefreiheit liefern wir entsprechend den gesetzlichen Vorgaben nach dem BFSG.
Dürfen wir vorstellen? Die befragten Barrierefreiheits-Expert:innen
Und nicht zuletzt: Wir bedanken uns ganz herzlich bei all unseren Expert:innen für ihre Zeit und das offene Teilen ihrer Meinungen und Ansichten. Schaut gern in die Profile und Projekte unserer Barrierefreiheits-Expert:innen, vielleicht gewinnt ihr ja neue Perspektiven dazu:
Tina Reis (keine Pronomen), Entwicklung von WordPress-Websites
Tina Reis entwickelt barrierefreie WordPress-Websites in Berlin und kombiniert dies mit SEO und Content-Strategie. Tina motivierte die häufige Vernachlässigung von Barrierefreiheit in Projekten sowie ihre eigene Erfahrung mit Barrieren im Alltag, sich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen. Heute testet Tina Websites auf BITV und WCAG, um digitale Angebote für alle zugänglich zu machen.
Katrin Nägele (sie/ihr), Übersetzerin für Leichte und Einfache Sprache
Katrin Nägele ist Übersetzerin für Einfache und Leichte Sprache und hilft dabei, Texte verständlich für alle zu machen. Besonders im digitalen Bereich setzt sie sich dafür ein, dass Formulare und Anwendungen wirklich für alle zugänglich sind. Ihre Motivation ist, Menschen durch klare Sprache zu mehr Selbstbestimmung zu verhelfen, damit sie eigenständig Entscheidungen treffen können.
Marc Haunschild (er/ihm), Berater für barrierefreie Digitalisierung
Marc Haunschild arbeitet bei der Kompetenzstelle für digitale Barrierefreiheit und ist freiberuflicher Berater. Er setzt sich dafür ein, dass das Internet für alle zugänglich wird und berät Unternehmen sowie Organisationen bei der barrierefreien Gestaltung digitaler Angebote. Seine Motivation, Barrieren im digitalen Raum abzubauen, gründet auf dem festen Glauben, dass digitale Teilhabe für alle eine Selbstverständlichkeit sein sollte.
Maja Benke (sie/ihr), Barrierefreiheitsprüferin
Maja Benke ist Webdesignerin aus Berlin und Expertin für barrierefreie Websites. Seit 2015 ist sie in der WordPress-Community aktiv und berät zu Barrierefreiheit im Web. Maja möchte komplexe Barrierefreiheits-Anforderungen gut verständlich machen und Webseiten erstellen, die für alle Menschen nutzbar sind.
Friederike Grigoleit (sie/ihr), Übersetzerin für Leichte Sprache
Friederike Grigoleit arbeitet seit 2011 mit Texten und hat sich 2020 auf barrierefreie Kommunikation spezialisiert. Als zertifizierte Leichte-Sprache-Übersetzerin und Expertin für digitale Barrierefreiheit berät sie seit 2021 Organisationen, vor allem aus dem gemeinnützigen Bereich. Friederike möchte mit klarer, einfacher Sprache dazu beitragen, dass alle Menschen Informationen verstehen und daran teilhaben können.
Daniela C. Fernandez (sie/ihr), Designerin bei ACB
Daniela arbeitet seit 6 Jahren als Grafikdesignerin und spezialisiert sich seit 2023 auf barrierefreies Design im Print- und Digitalbereich. Die Erstellung eines taktilen Bilderbuchs als Uni-Abschluss zeigte ihr die Lücke in der Ausbildung und verdeutlichte ihre soziale Verantwortung als Designerin. Als PoC setzt sie sich mit Leidenschaft für die Rechte und Teilhabe benachteiligter Gruppen ein.